Arbeitgeber müssen aktiv handeln(EuGH vom 6. November 2018 – C-619/16 und C-684/16)
Wer als Arbeitgeber oder Personaler die „Urlaubsrechtsprechung“ des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) seit dem Jahr 2009 verfolgt hat, wird erneut negativ durch zwei Entscheidungen vom 6. November 2018 überrascht. Es geht um die Frage, ob ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer auffordern und in die Lage versetzen muss, Urlaub zu nehmen und unter welchen Voraussetzungen nicht genommener Urlaub verfällt.
Nicht genommener Urlaub verfällt im Anwendungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes am Ende des Kalenderjahres, jedenfalls aber am Ende des Übertragungszeitraums (§§ 1, 7 BUrlG). Anderes gilt nur bei abweichenden arbeitsvertraglichen oder kollektivvertraglichen Regelungen.
Nach der „Schultz-Hoff“-Entscheidung (EuGH v. 20.1.2009 – C-350/06 und C-520/06) verfällt Urlaub nicht, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubsjahres und ggf. auch des Übertragungszeitraums krankheitsbedingt gehindert war, Urlaub zu nehmen. Nach einer späteren Entscheidung des EuGH beträgt der maximale Übertragungszeitraum aber 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres.
Der EuGH macht nun mit zwei Entscheidungen vom 6. November 2018 „Baustellen“ auf: Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers dürfe nach Unionsrecht nur dann verfallen, wenn der – insoweit nachweispflichtige – Arbeitgeber den Arbeitnehmer angemessen aufgeklärt und in die Lage versetzt hat, seinen Jahresurlaub zu nehmen.
In dem ersten vom EuGH entschiedenen Verfahren (C-619/16) nahm ein Referendar im Dienst des Landes Berlin keinen bezahlten Jahresurlaub. Nach dem Ende des Referendariats beantragte er die Abgeltung nicht genommener Urlaubstage. Das Land Berlin verweigerte die Abgeltung mit der Begründung, der Referendar sei nicht daran gehindert gewesen, den Urlaub zu nehmen.
In dem zweiten Verfahren wurde ein Arbeitnehmer ca. zwei Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses von dem Arbeitgeber gebeten, seinen Resturlaub zu nehmen, hierzu jedoch nicht verpflichtet. Der Arbeitnehmer nahm nur zwei Urlaubstage und beantragte die Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage.
In beiden Fällen fragten die deutschen Gerichte (OVG Berlin-Brandenburg und BAG) den EuGH im sog. Vorabentscheidungsverfahren, ob deutsche Regelungen zum Urlaubsrecht, nach denen der Urlaubs- und der Urlaubsabgeltungsanspruch verfallen, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantragt hat, gegen Unionsrecht verstoßen.
Der EuGH bejahte einen Verstoß der entsprechenden deutschen Regelungen gegen Unionsrecht.
Diese beiden Aussagen gelten unabhängig davon, ob es sich um einen öffentlichen oder einen privaten Arbeitgeber handelt. Was folgt nun aus der Entscheidung für die Praxis? Aus der Entscheidung geht hervor, dass sie nicht nur die Fälle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses betrifft, sondern auch den potentiellen Verfall von Urlaub am Ende des Bezugszeitraums im laufenden Arbeitsverhältnis. Ein Arbeitnehmer muss seinen Urlaub jedenfalls nicht beantragt haben, damit er im Fall der Nichtinanspruchnahme erhalten bleibt.
Die Entscheidung beruht, so der EuGH, auf dem Gedanken, dass der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses ist und daher davon abgeschreckt werden könne, seine Rechte gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen. Die Einforderung von Rechten könnte ihn Maßnahmen aussetzen, die sich nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Diese haltlose, weil pau-schale Dämonisierung von Arbeitgebern führt dazu, dass der Arbeitgeber nun aktiv auf die Arbeitnehmer zugehen soll, um diese an die Geltendmachung ihrer Rechte zu erinnern. Der Urlaubsanspruch könne nur untergehen, wenn der Arbeitnehmer
Im Streitfall trage der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er alles Gebotene getan hat, dem Arbeitnehmer die Wahrnehmung des Resturlaubs zu ermöglichen. Urlaubs- und Abgeltungsanspruchs verfielen nur dann, wenn der Arbeitgeber beweisen kann, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage auf seinen Urlaub verzichtete, nachdem er in die Lage versetzt wurde, ihn tatsächlich wahrzunehmen
Das BAG wird der Rechtsprechung des EuGH folgen und entgegenstehende deutsche Regelungen als unwirksam behandeln bzw. richtlinienkonform auslegen. Die beiden Entscheidungen haben hohe Praxisrelevanz und können für Arbeitgeber nunmehr auch nachträglich zu nachteiligen finanziellen Folgen führen.
Die Entscheidung wird auch auf Altfälle anzuwenden sein. Ausgeschiedene Arbeitnehmer könnten sich daher auf Urlaubsabgeltungsansprüche nachträglich berufen, solange dem Abgeltungsanspruch keine Ausschlussfristen, die Verjährung oder sonstige Regelungen in einem Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag oder in Kollektivvereinbarungen entgegenstehen.
Die Entscheidung des EuGH bezieht sich auf die Arbeitnehmern gemäß Unionsrecht zustehende Urlaubstage. Weiterhin zulässig sein dürfte daher eine Differenzierung zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem freiwillig von dem Arbeitgeber gewährten zusätzlichen Urlaub. Es bleibt abzuwarten, ob die deutschen Arbeitsgerichte ihre Rechtsprechung zu einem freiwilligen zusätzlichen Urlaub beibehalten und ob dieser (wie bislang) leichteren Verfallregelungen unterworfen werden kann.
Ungeachtet dessen kann Arbeitgebern nur geraten werden, Resturlaub im Blick zu behalten und ggf. so rechtzeitig und deutlich die Inanspruchnahme anzumahnen, dass er noch rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. des Übertragungszeitraumes genommen werden kann. Arbeitnehmer sind regelmäßig, unmissverständlich und deutlich darauf hinzuweisen, dass nicht realisierter Resturlaub verfällt. Entsprechende Hinweise erst am Jahresende werden nicht mehr ausreichen. Pauschale Hinweise in dem Arbeitsvertrag bieten aus unserer Sicht gegenwärtig keine rechtssichere Lösung. Auf die Nachweisbarkeit dieser Hinweise ist aufgrund der Beweislast des Arbeitgebers zu achten.
Nicht eingeschätzt werden kann, in welchen Fällen ein Arbeitsgericht davon ausgehen wird, dass ein Arbeitnehmer „tatsächlich durch den Arbeitgeber in die Lage versetzt“ wurde, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Eine gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Arbeitsvolumen eines Arbeitnehmers droht, evtl. hilft aber auch bereits das verbindliche Angebot des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums Urlaub nehmen zu können.
Offen ist, aber bezweifelt werden darf, dass die Rechtsprechung des EuGH so weit geht, dass der Arbeitgeber Resturlaub einseitig festlegen bzw. anordnen muss. Jedenfalls nach aktueller Rechtslage hat der Arbeitgeber nur eingeschränkte Möglichkeiten, Urlaub einseitig anzuordnen, beispielsweise im gekündigten Arbeitsverhältnis zwecks Vermeidung von Urlaubsabgeltungsansprüchen. Der Arbeitgeber darf im Übrigen den Urlaubszeitraum nicht beliebig festlegen, sondern ist an die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers gebunden.
Der EuGH hat wieder eine Entscheidung zum Urlaubsrecht erlassen, die es Arbeitgebern ein Stück schwerer macht. Aktives Handelns ist aber nun geboten. Abzuwarten bleibt, ob die jetzigen Entscheidungen auch Auswirkungen auf die „Schultz-Hoff“-Rechtsprechung zum Verfall des Urlaubs bei Langzeiterkrankungen haben. Betrachtet man die Entscheidungsgründe, wird dies wohl (wenigstens) nicht der Fall sein.
Falls Sie Fragen zu den Entscheidungen oder zur Gestaltung der weiteren Vorgehensweise haben, steht Ihnen das Arbeitsrechtsteam der Kanzlei Dentons hierfür jederzeit sehr gern zur Verfügung.
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