Es ist soweit. Nach Jahren der Diskussion hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den ersten Gesetzesentwurf für ein Unternehmenssanktionenrecht veröffentlicht. Hier stehen erstmals die Unternehmen und nicht die handelnden Personen im Fokus; ferner Vereine sowie die am Wirtschaftsleben teilnehmende Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Der Entwurf fasst sie unter dem Begriff „Verbände“ zusammen. Das BMJV zielt darauf ab, Wirtschaftskriminalität in Wirtschaftsorganisationen in Zukunft wirksamer zu verfolgen. Dabei sieht es das bisherige Sanktionsinstrumentarium des Ordnungswidrigkeitenrechts als nicht mehr ausreichend an. Das Ergebnis? Der Entwurf des Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten, das Verbandssanktionengesetz (VerSanG).
Die Verschärfungen sollen nun vor allem folgende Bereiche betreffen:
Zudem ist eine bis zu 50%ige Sanktionsmilderung durch intensive Kooperation mit den Ermittlungsbehörden vorgesehen.
Obwohl im Laufes des Gesetzgebungsverfahren im Bundestag und Bundesrat noch mit Änderungen zu rechnen ist, sollten Unternehmen sich bereits jetzt vorbereiten:
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität (VerSanG) kündigt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) an, Wirtschaftskriminalität in Zukunft wirksamer zu verfolgen. Das Ordnungswidrigkeitenrecht sieht das BMJV als nicht ausreichend an und erkennt Bedarf für ein eigenes Unternehmensstrafrecht: das VerSanG. Gerade große multinationale Konzerne würden in Deutschland keine ausreichend empfindlichen Sanktionen treffen, dies sowohl für Taten im In- und Ausland. Geschäftsleitungsorgane erhalten zudem einen weiteren Anreiz – zum Eigenschutz – verbandsinterne Untersuchungen durchzuführen.
Mit der Abkehr vom Opportunitätsprinzip hin zum Legalitätsprinzip soll die uneinheitliche Ahndungspraxis in den einzelnen Bundesländer beendet werden. Nach dem Gesetzentwurf ist jedes Handeln, das nach deutschem Recht eine Straftat darstellt und einem Verband nach § 3 VerSanG zuzurechnen ist, auch zwingend als Verbandsstraftat zu verfolgen. Eine Abwägungsspielraum, die Verbandstat eventuell doch nicht zu verfolgen, besteht nicht mehr.
Eine Zurechnung besteht, wenn durch die Straftaten Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder wenn sie zu einer Bereicherung des Verbandes führten oder eine solche Bereicherung zum Ziel hatten. Für Geschäftsleitungen, Leitungspersonen und Manager in Garantenstellung (wie etwa Compliance-Funktionen, Datenschutzbeauftragte oder andere Beauftragte) bedeutet dies, dass ihre Handlungen und Unterlassungen weiterhin als Anknüpfungstaten im Zentrum von Untersuchungen stehen werden und nun auch direkte Sanktionskonsequenzen für ihr Unternehmen herbeiführen. Mehr als bisher ist es im ureigenen Interesse dieser Personengruppe für ein effektives präventives Compliance-System zu sorgen, das Straftaten und Ordnungswidrigkeiten verhindert und dies entsprechend überwacht.
Dies gilt nun auch für geschäftliches Handeln im Ausland. Das Verbandssanktionenrecht findet auch auf Auslandstaten deutscher Verbände Anwendung, sofern die Auslandstat nach dem deutschen Recht eine Straftat wäre, der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt oder die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist.
Die Einführung des Legalitätsprinzips wird von erweiterten Einstellungsmöglichkeiten begleitet. Möglicherweise werden Staatsanwaltschaften nun eher von der Möglichkeit einer Einstellung mit Auflagen und Weisungen nach § 37 VerSanG und § 153a StPO Gebrauch machen, statt eine gerichtliche Auseinandersetzung zu suchen.
Die möglichen Auflagen sind allerdings vielfältig, neben einer Schadenswiedergutmachung und Geldauflagen können Verbände angewiesen werden, präventive Compliance Vorkehrungen einzuführen und diese durch eine sachkundige Stelle nachweisen zu lassen. Dieses Modell, das in ähnlicher Weise aus dem EU Kartellrecht im Fall der Abgabe eines „Committment“ bekannt ist, eröffnet den Verbänden die Möglichkeit, unter abschließender Begutachtung durch einen „Monitor“ präventive Maßnahmen zu etablieren und damit gleichzeitig eine Geldbuße zu vermeiden oder im Falle der Verhängung einer Verbandssanktion zu verringern.
Die Verbandsgeldsanktion bildet den Kernpunkt möglicher Sanktionen gegen Verbände. In den Fällen, in denen es zu der Verhängung einer Verbandsgeldsanktion kommt, ist nun die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit entscheidend. Für den Großteil der Unternehmen, nämlich für all diejenigen, deren Konzernjahresumsatz unter 100 Millionen Euro liegt, bleibt es bei dem Bußgeldrahmen, der bereits aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz bekannt ist. Bei einem Konzernjahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro kann die Sanktion aber bis zu 10 Prozent des Umsatzes, der eine wirtschaftliche Einheit bildenden Verbandsmitglieder, betragen. Trotz aller möglichen Zweifel, ob das Umsatzkriterium das richtige Kriterium ist, orientiert der Entwurf sich damit an einem allgemeinen Trend zur Bemessung von Bußgeldern. Das Kartellrecht eröffnet die Möglichkeit, Bußgelder bis zu 10 Prozent des Konzernumsatzes zu verhängen. Die EU Datenschutz-Grundverordnung sieht Bußgelder bis zu 4 Prozent des Konzernumsatzes vor.
Im Falle von Rechtsnachfolgen nach dem Umwandlungsgesetz können die Verbandssanktionen auch gegen den oder die Rechtsnachfolger festgelegt werden. In den Fällen, in denen die Bebußung des Verbandes dem Grunde oder der Höhe nach ausscheidet, weil der Verband erloschen ist oder Vermögenswerte verschoben werden, kann eine Bebußung von Verbänden, die mit dem erloschenen Verband eine Einheit gebildet haben oder die wesentliche Wirtschaftsgüter übernommen haben, erfolgen.
Die im Entwurf vorgesehen Maßnahme der Auflösung eines Verbands wie auch der öffentlichen Ankündigung wird als ultima ratio vermutlich geringe Bedeutung gewinnen. Sie zeigt aber den schon mit der letzten Novelle des Geldwäschegesetzes gesetzten Trend, Unternehmen, die nicht in der Lage sind, ihren Compliance-Pflichten nachzukommen, den Geschäftsbetrieb zu untersagen.
Großes Manko ist, dass in § 16 VerSanG, der Vorschrift über die Bemessung der Verbandsgeldsanktion, bestehende Compliance Maßnahmen nur bei ihrem Fehlen als pönalisierendes, aber bei ihrem Vorliegen nicht als privilegierendes Element genannt werden. Auch wenn zu erwarten ist, dass die Kriterien, die der Bundesgerichtshof im Urteil vom 9. Mai 2017 (Az. 1 StR 265/17) zur Berücksichtigung der Effizienz des Compliance Management Systems eines Unternehmens im Rahmen der Bußgeldbemessung nach § 30 OWiG entwickelt hat, auch in die Bußeldbemessung nach § 16 VerSanG Eingang finden werden, hat das BMJV eine Chance verpasst, die vielfachen Compliance-Anstrengungen von Unternehmen in den letzten Jahren ausdrücklich zu würdigen. Zudem bleibt der Entwurf im Hinblick darüber, was angemessene präventive Maßnahmen sind, offen. Damit gibt es erneut keine Möglichkeit für Unternehmen, sich an einer rechtssicheren gesetzlichen Wertung zu orientieren und es bleibt das Risiko, dass bei einem Compliance-Vorfall unmittelbar auf ein Fehlen hinreichender Organisations- oder Aufsichtsmaßnahmen geschlossen wird.
Verbandsinterne Untersuchungen werden indes ausführlich als Mittel der Milderung von Verbandssanktionen genannt. Das Gericht kann eine Milderung vorsehen, wenn der Verband oder von ihm beauftragte Dritte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Verbandsstraftat aufgeklärt werden konnte. Dies gilt nur dann, wenn verbandsinterne Untersuchungen, die rechtsstaatlichen Standards gefolgt sind (u.a. sollen Mitarbeiter entgegen arbeitsrechtlicher Kooperationspflichten ein Aussageverweigerungsrecht bei möglicher Selbstbelastung zustehen), zu Untersuchungsergebnissen führen, welche den Verfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann sich das Höchstmaß der Verbandssanktion um die Hälfte reduzieren und das Mindestmaß ganz entfallen. Voraussetzung ist allerdings, dass nicht nur die Untersuchungsergebnisse, sondern auch alle wesentlichen Dokumente, auf denen die Untersuchungsergebnisse beruhen, übergeben werden.
Um eine Reduzierung des Bußgeldrahmens zu erreichen, darf es sich bei dem mit der Durchführung der verbandsinternen Untersuchung beauftragte Dritten nicht gleichzeitig um den Verteidiger des Verbandes oder eines Beschuldigten, dessen Verbandsstraftat dem Sanktionsverfahren zugrunde liegt, handeln. Daraus wird deutlich: Nur eine konsequent in enger Kooperation mit den Behörden durchgeführte verbandsinterne Untersuchung führt zur Reduzierung des Bußgeldrahmens. Verteidigerrechte sieht der Entwurf nicht vor.
Trotz des fehlenden Schutzes der Ergebnisse einer verbandsinternen Untersuchung soll hier ein Anreiz für Unternehmen geschaffen werden, entweder eigene angemessene und faire verbandsinterne Untersuchungen durchzuführen oder Dritte hiermit zu beauftragen. Einen wesentlichen Aspekt sollten Mitglieder von Geschäftsleitungsorganen zum Eigenschutz nicht übersehen: Lassen Geschäftsleitungsorgane eine solche Möglichkeit zur Schadensreduzierung ungenutzt verstreichen, wird dies absehbar die Frage nach zivilrechtlichen Ansprüchen gegen diese Mitglieder der Geschäftsleitungsorgane aufwerfen. Die bereits zu dem bekannten Fall von Schadensersatzforderungen gegen einen Geschäftsführer geführte Diskussion, ob Geschäftsführer für (Kartell-)Bußgelder gegen das Unternehmen schadensersatzpflichtig sind, wird mit Blick auf die Möglichkeit der Reduzierung von Bußgeldern durch die Durchführung verbandsinterner Untersuchungen einen neuen Aspekt bekommen.
Trotz aller rechtsstaatlicher Bedenken, die verbandsinterne Untersuchungen als bußgeldreduzierendes Element aufwerfen, dürften sich Betroffene regelmäßig für die Durchführung von verbandsinternen Untersuchungen durch eigene Mitarbeiter oder beauftragte Dritte entscheiden. Dies sowohl deshalb, weil die Aufklärung von unternehmensbezogenen Straftaten ein wesentliches Element eines effektiven Compliance Management Systems darstellt. Vor allem aber auch, weil es im Eigeninteresse unbeteiligter gesetzlicher Vertreter oder der zur Durchführung von verbandsinternen Untersuchungen beauftragten Personen, wie dem Compliance Officer oder dem Head of Audit, liegen sollte, verbandsinterne Untersuchungen auszulösen. Nicht zuletzt, um einen möglichen späteren Vorhalt einer Unterlassungstat oder die oben beschriebenen möglichen zivilrechtlichen Folgen zu vermeiden.
Welche Rolle das Recht des gesetzlichen Vertreters spielen wird, sich im Sanktionsverfahren nicht zu äußern, wird sich in der Praxis noch zeigen. Als Dilemma für verbandsintern durchgeführte Untersuchungen könnte sich noch herausstellen, dass das dem gesetzlichen Vertreter zugestandene Recht nicht auch den Leitungspersonen und Mitarbeitern im Unternehmen gewährt wird, die die verbandsinternen Untersuchungen durchführen.
Unaufgeforderte E-Mails und andere Informationen, die Dentons erhält, werden nicht vertraulich behandelt, können an Dritte weitergegeben werden, erhalten möglicherweise keine Antwort und schaffen keine Anwalt-Mandanten-Beziehung. Wenn Sie noch kein Mandant von Dentons sind, schicken Sie uns bitte keine vertraulichen Informationen.
Die Seite, die Sie besuchen wollten, ist in der von Ihnen ausgewählten Sprache nicht verfügbar. Sie wurden auf einen entsprechenden Bereich unserer Webseite weitergeleitet.
Sie werden jetzt von der Dentons Website zur englischen $redirectingsite Website weitergeleitet. Wenn Sie fortfahren möchten, klicken Sie bitte auf Annehmen.
Sie werden jetzt von der Dentons Website zur Beijing Dacheng Law Offices, LLP Website weitergeleitet. Wenn Sie fortfahren möchten, klicken Sie bitte auf Annehmen.