Die Bundesrepublik Deutschland wie auch die Europäische Union haben in Reaktion auf den Krieg in der Ukraine umfassende vergaberechtliche Maßnahmen ergriffen. Diese Maßnahmen betreffen einerseits vergaberechtliche Erleichterungen bei Beschaffungen, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine stehen, und andererseits Zuschlags- und Vertragserfüllungsverbote in Bezug auf Personen und Unternehmen, die in Russland ansässig sind und von solchen Einrichtungen kontrolliert werden.
Mit Rundschreiben vom 13. April 2022 (Aktenzeichen IB6 - 206-000#010) hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Hinblick auf bestimmte Beschaffungen zeitlich befristete vergaberechtliche Erleichterungen bekanntgemacht.
Liefer-, Dienst- oder Bauleistungen, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine stehen, dürfen im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV beschafft werden. Denn für solche Beschaffungen sind die Voraussetzungen eines unvorhergesehenen Ereignisses und äußerst dringlicher zwingender Gründe, die die Einhaltung der Mindestfristen der regulären Verfahrensarten nicht zulassen, regelmäßig gegeben. Umfasst sind im Besonderen Beschaffungen in Bezug auf die Unterbringung und die Versorgung der aus der Ukraine geflüchteten Menschen sowie Vergaben, die angesichts des Kriegs der Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten oder der Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs dienen. Als Beispiele für solche Vergaben werden Beschaffungen zur Abwehr potenzieller Angriffe im Bereich der IT- und Cybersicherheit oder zur Sicherstellung des Zivil- und Katastrophenschutzes, der Gefahrenabwehr, des Gesundheitsschutzes oder der Versorgungssicherheit (einschließlich Energieversorgung) angeführt. Diese Erleichterungen gelten entsprechend für Sektorentätigkeit sowie für verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge.
Unverändert bleibt indes das Erfordernis, auch bei Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV mehrere Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern. Ein kompletter Verzicht auf Wettbewerb kommt nur als ultima ratio in Betracht. Die direkte Ansprache nur eines Unternehmens wäre lediglich dann zulässig, wenn nur dieses Unternehmen in der Lage ist, den konkreten Auftrag unter den durch die zwingende Dringlichkeit auferlegten technischen und zeitlichen Zwängen zu erfüllen.
Die am 13. April 2022 bekanntgegebenen Erleichterungen gelten zudem für Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte. Sind die maßgeblichen EU-Schwellenwerte unterschritten, dürfen öffentliche Auftraggeber für Beschaffungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine die Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb als Verfahrensart wählen. Außerdem werden bei Beschaffungen der Vergabestellen des Bundes im Zusammenhang mit dem Krieg die Wertgrenzen für Direktaufträge vorübergehend bis zum 31. Dezember 2023 angehoben. Demnach dürfen Aufträge der Bundesverwaltung mit einem geschätzten Wert von bis zu EUR 8.000 (Bauvergaben) oder bis zu EUR 5.000 (sonstige Vergaben) direkt vergeben werden. So wurden für das Bundesministerium der Verteidigung und seinen Geschäftsbereich bereits am 16. März 2022 abweichenden Verwaltungsvorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge bekanntgemacht (Aktenzeichen IB6 - 20601-000#008), in denen die Wertgrenzen für Direktaufträge im Unterschwellenbereich für Liefer- und Dienstleistungen wie auch für Bauaufträge vorübergehend bis zum 31. Dezember 2023 auf EUR 5.000 netto angehoben wurden. Auf Landesebene sind abweichende Wertgrenzen zu beachten.
Die am 13. April 2022 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bekanntgegebenen Erleichterungen betreffen nicht nur künftige Ausschreibungen, sondern auch bestehende Verträge. Öffentliche Auftraggeber dürfen bestehende Verträge nach Maßgabe des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB (Oberschwellenbereich) und § 47 Abs. 1 UVgO (Unterschwellenbereich) verlängern oder wertmäßig erweitern. Die er0ste Voraussetzung für eine solche einvernehmliche vergaberechtsfreie Abänderung (d.h. die Änderung muss aufgrund von Umständen erforderlich geworden sein, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten nicht vorhersehen konnte) gilt bei Beschaffungen im Zusammenhang mit dem Krieg als erfüllt. Die weiteren Voraussetzungen für eine Annahme einer unwesentlichen Auftragsänderung (keine Änderung des Gesamtcharakters des Auftrags und keine Erhöhung des Preises um mehr als 50% des ursprünglichen Wertes) sowie die Pflicht zur Veröffentlichung der Auftragsänderung im Amtsblatt der EU bestehen demgegenüber unverändert fort.
Als Folge des Ukraine-Krieges kommt es zudem zu Lieferengpässen und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien. Um den Auswirkungen für kommende und laufende Baumaßnahmen des Bundes entgegenzuwirken, hat das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen mit Erlass vom 25. März 2022 (Aktenzeichen BWI7-70437/9#4) für spezifische Produktgruppen (z.B. Stahl, Aluminium und Erdölprodukte) bis zum 30. Juni 2022 befristete Sonderregelungen erlassen. Der Erlass regelt insbesondere die Aufnahme von Stoffpreisklauseln in laufenden und künftigen Vergabeverfahren sowie die Anpassung bereits bestehender Verträge in dieser Hinsicht. Der Erlass des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr vom 25. März 2022 (Aktenzeichen StB 14/7134.2/005/3655805) sieht speziell für den Bereich des Verkehrswegebaus ähnliche Maßnahmen vor.
Mit der Verordnung (EU) 2022/576 vom 8. April 2022 wurde die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, geändert.
Der neu eingefügte Artikel 5k verbietet es, öffentliche Aufträge oder Konzessionen an russische Staatsangehörige oder an in Russland niedergelassene natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu vergeben. Dieses Verbot gilt auch in Bezug auf Unternehmen, die zu über 50% von solchen Personen, Organisationen oder Einrichtungen gehalten werden oder die im Namen oder auf Anweisung solcher Personen, Organisationen oder Einrichtungen handeln. Das Verbot erstreckt sind auch auf den Einsatz von Unterauftragnehmern, Lieferanten und Eignungsverleihern, soweit auf diese Dritte mehr als 10% des Auftragswerts entfällt. Für bestimmte Leistungen können die zuständigen Behörden ausnahmsweise eine Befreiung vom Verbot genehmigen, wie z.B. beim Einkauf von Erdöl und Erdgas.
Dieses Verbot gilt nicht nur für die Vergabe öffentlicher Aufträge, sondern auch für die Erfüllung bereits abgeschlossener Verträge mit einer der oben aufgeführten Personen. Verträge, die vor dem 9. April 2022 geschlossen wurden, sind bis zum 10. Oktober 2022 von diesem Verbot nicht erfasst.
Die vergaberechtlichen Maßnahmen in Bezug auf die Beschaffung von Gütern, Bau- und Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sind zwar geeignet, geplante Beschaffungen erheblich zu beschleunigen. Wie die Vergabepraxis während und aus Anlass der Corona-Pandemie gezeigt hat, ist die Inanspruchnahme solcher Erleichterungen jedoch mit erheblichen praktischen und vergaberechtlichen Komplikationen verbunden. Insbesondere die Entscheidung, ein bestimmtes Unternehmen direkt zu beauftragen, ist in hohem Maße angreifbar und kann sogar dazu führen, dass der Vertrag für unwirksam erklärt wird. Wichtig ist jedenfalls eine lückenlose Dokumentation zur Begründung der jeweiligen Ausnahme.
Öffentliche Auftraggeber sollten zudem im Rahmen aller laufenden und künftigen Vergabeverfahren prüfen, ob es sich bei den Bietern um „verbotene“ Unternehmen im Sinne des Artikels 5k der Verordnung (EU) 2022/576 handelt. Denn auf die Angebote solcher Unternehmen darf der öffentliche Auftraggeber keinen Zuschlag erteilen.
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