Aufgrund der mit der Ausbreitung des Coronavirus einhergehenden zunehmenden Versammlungsverbote und Einschränkungen des öffentlichen Lebens stehen gerade börsennotierte Aktiengesellschaften im Hinblick auf anstehende Hauptversammlungen vor besonderen Herausforderungen. Derzeit werden zahlreiche Hauptversammlungen abgesagt. Angesichts dessen hat nun auch das Deutsche Aktieninstitut (DAI) ein Positionspapier erstellt und der Politik in Berlin zugeleitet. Es enthält die maßgeblichen Ansätze, eine Nicht-Präsenz-Hauptversammlung rechtssicher durchführen zu können und fordert ein schnelles Handeln des Gesetzgebers.
Die Hauptversammlung hat einen festen Platz im Kalender börsennotierter deutscher Aktiengesellschaften. Sie muss nach derzeitiger Gesetzeslage grundsätzlich mindestens einmal jährlich innerhalb der ersten acht Monate eines Geschäftsjahres zusammentreten und ihr sind nach dem Gesetz zentrale Befugnisse zugewiesenen. Die Hauptversammlung entscheidet insbesondere über die Ausschüttung von Dividenden, über Kapitalmaßnahmen und Ermächtigungen hierzu sowie über bestimmte weitere Strukturmaßnahmen und wählt die Mitglieder des Aufsichtsrats ebenso wie die Abschlussprüfer.
In der aktuellen Situation stellen sich eine Vielzahl von Fragen betreffend die Durchführung von Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften.
Zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus kommt es zu Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die sich aktuell immer weiter vertiefen. Die in den einzelnen Bundesländern ausgesprochenen Versammlungsverbote wurden und werden laufend weiter verschärft. Die auf Grundlage der Regelungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) erlassenen Regelungen gelten zunächst überwiegend bis Mitte April 2020. Ob diese Veranstaltungsverbote verlängert werden und bis wann, ist derzeit noch nicht verlässlich absehbar.
Die Durchführung einer Hauptversammlung als Präsenzveranstaltung dürfte vor diesem Hintergrund zumindest während der Geltungsdauer dieser Verbote regelmäßig nicht mehr möglich sein. Bei den meisten Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften sind erfahrungsgemäß mehr als die von den Bundesländern aktuell jeweils erlaubte (und möglicherweise weiter zu reduzierende) Anzahl von Teilnehmern zugegen. Zwar ist vor dem Hintergrund der Ausbreitung des Coronavirus mit einem drastischen Rückgang der Teilnehmerzahlen auf Hauptversammlungen zu rechnen, neben den tatsächlichen Versammlungsverboten in den einzelnen Bundesländern führen aber auch die Kontaktverbote in der Öffentlichkeit sowie bestimmte weitere Ausgangsbeschränkungen dazu, dass zumindest während der Geltungsdauer dieser Verbote die Abhaltung einer Hauptversammlung kaum mehr realistisch umsetzbar sein dürfte.
Das deutsche Aktienrecht sieht derzeit keine gangbaren Alternativen für die Abhaltung einer Hauptversammlung als Präsenzveranstaltung vor. Insbesondere ist es nicht möglich, auf eine Präsenzveranstaltung völlig zu verzichten und die Hauptversammlung stattdessen lediglich virtuell im Internet durchzuführen (Online-Hauptversammlung). Den Aktionären kann zwar nach den Satzungen der meisten börsennotierten Gesellschaften die Möglichkeit gegeben werden, auch online an einer Präsenzveranstaltung teilzunehmen (§ 118 Abs. 1 S. 2 des deutschen Aktiengesetzes (AktG)). Eine Teilnahme vor Ort muss aber zumindest angeboten werden, und es bestehen rechtliche Unsicherheiten im Hinblick auf die technischen Lösungen für den Umfang der Gewährung des Frage- und Rederechts bei einer Online-Teilnahme. Eine Alternative besteht darin, die – nach Aktienrecht aber gleichwohl erforderliche – Präsenzveranstaltung auch im Internet zu übertragen und den Aktionären die Möglichkeit einzuräumen, bis kurz vor den Abstimmungen Vollmachten und Weisungen an von der Gesellschaft benannte Stimmrechtsvertreter zur Ausübung ihres Stimmrechts zu erteilen. Vor dem Hintergrund der bestehenden Schwierigkeiten geht die Hauptforderung des DAI auch dahin, Hauptversammlungen ohne die physische Präsenz der Aktionäre zu ermöglichen.
Für die Hauptversammlungssaison 2020 fordert das DAI in seinem am 19. März 2020 veröffentlichten Positionspapier Folgendes:
Das DAI appelliert dabei an den Gesetzgeber, schnell und unbürokratisch zu handeln. Sollten Präsenzveranstaltungen von den Behörden unter Auflagen doch weiter zugelassen werden, fordert das DAI ergänzend weitere Maßnahmen: So müsse unter anderem der Zeitraum für die Verschiebung einer Hauptversammlung (vorübergehend auf zwölf Monate) verlängert und der Abschlussprüfer allein durch den Aufsichtsrat bestellt werden können. Zudem sollten Unternehmen auf Grundlage eines Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlusses Dividenden zahlen können. Das vollständige Positionspapier finden Sie hier. Ob, in welchem Umfang und bis wann die DAI-Forderungen umgesetzt werden, lässt sich derzeit aber noch nicht absehen.
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) steht einer unkomplizierten Einführung der Online-Hauptversammlung durch den Gesetzgeber positiv gegenüber, wendet sich allerdings explizit gegen weitergehende Vorschläge, parallel fundamentale Aktionärsrechte wie das Frage- oder das Anfechtungsrecht außer Kraft zu setzen.
Zu den Hauptversammlungen deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften wird aufgrund gesetzlicher Einberufungsfristen bereits über einen Monat vor dem Tag der Versammlung eingeladen (§ 123 AktG). Ist die Hauptversammlung daher bereits einberufen, kann aber aufgrund der aktuellen Entwicklung nicht stattfinden, wird eine Absage der Veranstaltung erforderlich. Die Absage kann vor Beginn der Hauptversammlung grundsätzlich durch den Vorstand erfolgen. Eine Absage wird auf der Webseite der Gesellschaft und durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Ist die Hauptversammlung hingegen noch nicht einberufen, aber bereits absehbar, dass sie in der aktuellen Situation nicht durchgeführt werden kann oder soll, genügt im Regelfall eine schlichte Ankündigung auf der Webseite der Gesellschaft, dass die Versammlung verschoben wird.
Derzeit ist nicht vorhersehbar, ob die Veranstaltungsverbote, die in den meisten Bundesländern zunächst bis Mitte April gelten, über dieses Datum hinaus weiter verlängert werden, ob weitere Maßnahmen ggf. aufrechterhalten oder neu angeordnet werden und ob, wie und bis wann die DAI-Forderungen durch den Gesetzgeber umgesetzt werden. Daher scheint es derzeit auch nicht notwendig, bereits mit der Absage/Verschiebung einen konkreten neuen Termin für die Hauptversammlung zu verkünden, sondern sinnvoller, erst einmal die weitere Entwicklung abzuwarten und zu beobachten – und dies auch entsprechend den Aktionären zu kommunizieren.
Da es sich bei der Absage einer bereits einberufenen Hauptversammlung und möglicherweise auch bei der bloßen Verschiebung um eine Insiderinformation handeln kann, kann es darüber hinaus erforderlich sein, die Absage auch mittels einer Ad-Hoc-Mitteilung unverzüglich öffentlich bekannt zu geben (Art 17 der Marktmissbrauchsverordnung). Allein die zeitliche Verschiebung des Dividendenzahlungsbeschlusses infolge der Verlegung der Hauptversammlung stellt im Hinblick auf die vom jeweiligen Emittenten ausgegebenen Aktien nach den FAQs der BaFin grundsätzlich keine ad-hoc-pflichtige Insiderinformation dar.
Aus Sicht der Gesellschaften kann eine Verzögerung der Hauptversammlung Auswirkungen auf die Unternehmensplanung haben, da sich dadurch sämtliche Maßnahmen, die in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung fallen (Satzungsänderungen, Kapital- und bestimmte Umwandlungsmaßnahmen, Zustimmungen zu Unternehmensverträgen etc.) ebenfalls verzögern. Aber auch auf sonstige geplante Maßnahmen, die nicht per se einer Hauptversammlungszustimmung bedürfen (wie z.B. ein Unternehmenskauf) können sich Verzögerungen mit Blick auf auslaufende oder neu zu schaffende Ermächtigungen des Vorstands auswirken. So ist es beispielsweise nicht unüblich, dass der Kaufpreis für ein Unternehmen zum Teil in Aktien der Gesellschaft erbracht wird. Ist dies geplant und hat die Hauptversammlung noch nicht über die Ausgabe neuer Aktien beschlossen bzw. den Vorstand noch nicht zur Ausgabe neuer Aktien ermächtigt bzw. ist eine entsprechende Ermächtigung bereits abgelaufen, darf der Vorstand keine neuen Aktien der Gesellschaft ausgeben, um den Kaufpreis aufzubringen (§§ 182, 192, 202 AktG). Auch derartige Überlegungen sind bei der Unternehmensplanung zu berücksichtigen.
Kann eine Hauptversammlung nicht wie geplant stattfinden, unterbleibt vor allem eine Dividendenausschüttung an die Aktionäre bis auf weiteres. Eine solche kann grundsätzlich nur die Hautversammlung beschließen (vgl. § 174 Abs. 1 AktG). Das DAI fordert wie dargestellt nun zwar, dass Unternehmen auf Grundlage eines Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlusses Dividenden zahlen können sollten – ob und bis wann diese Forderung umgesetzt wird, ist derzeit aber nicht absehbar.
Wird die Hauptversammlung abgesagt und bei Veränderung der Lage neu einberufen, können sich ferner Abweichungen von einer bereits angekündigten Dividendenausschüttung ergeben. Auch ein bereits veröffentlichter Gewinnverwendungsvorschlag des Vorstands ist nämlich nicht bindend und erst die – dann verspätet durchgeführte – Hauptversammlung entscheidet über die Gewinnverwendung für das abgelaufene Geschäftsjahr. Es erscheint daher mit Blick auf die angespannte wirtschaftliche Situation denkbar, dass erzielte Gewinne jedenfalls nicht in der ursprünglich geplanten/erwarteten Höhe – ggf. gar überhaupt nicht – als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet, sondern verwendet werden, um die wirtschaftlichen Folgen der Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.
Grundsätzlich hat jährlich in den ersten acht Monaten eines Geschäftsjahres eine Hauptversammlung stattzufinden (Acht-Monats-Frist, § 175 Abs. 1 Satz 2 AktG). Für SEs gilt sogar eine Sechs-Monats-Frist (Art. 54 Abs. 1 SE-Verordnung) Diesbezüglich fordert das DAI, den Zeitraum für die Verschiebung einer Hauptversammlung vorübergehend auf zwölf Monate zu verlängern; ob und bis wann diese Forderung umgesetzt wird, ist derzeit aber nicht vorhersehbar. Kann eine Hauptversammlung derzeit aufgrund der aktuellen Situation nicht durchgeführt werden, sollten die Gesellschaften mit Blick hierauf bemüht sein, die Hauptversammlung zeitnah nachzuholen, sobald die Lage dies zulässt. Daher ist es ratsam, die weitere Entwicklung sorgfältig im Blick zu halten und mit ausreichend zeitlichem Vorlauf entsprechende Vorkehrungen zu treffen (etwa Buchung eines Versammlungsraums, Einschaltung der Dienstleister).
Allerdings ist derzeit ebenfalls noch nicht absehbar, ob die in den einzelnen Bundesländern größtenteils zunächst bis Mitte April (teils bereits länger) geltenden Veranstaltungsverbote über ihre derzeitige Geltungsdauer hinaus weiter verlängert und welche weiteren Maßnahmen ggf. aufrechterhalten oder neu abgeordnet werden. Ob vor diesem Hintergrund etwa für Ende April oder Mai 2020 eingeladen werden kann, sollte insbesondere mit Blick auf die noch ungewissen weiteren Entwicklung im jeweiligen Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Dabei sollten vor allem auch die Kosten einer Abberufung berücksichtigt werden, die bei Verlängerung der Verbote nur nach erfolgter Veröffentlichung der Einladung notwendig würde.
Kommt es zu einer Verlängerung der derzeit größtenteils bis Mitte April geltenden Veranstaltungsverbote, könnte es – bei denjenigen Gesellschaften, bei denen wie zumeist das Geschäftsjahr dem Kalenderjahr entspricht – im Einzelfall gar schwierig werden, die jährliche Hauptversammlung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Acht-Monats-Frist (bei SEs innerhalb einer Sechs-Monats-Frist) abzuhalten.
Allerdings dürften für die Gesellschaften keine Konsequenzen drohen, wenn die Acht-Monats-Frist aufgrund geltender Veranstaltungsverbote nicht gewahrt wird und nach Wegfall der Veranstaltungsverbote alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um zeitnah eine Hauptversammlung abzuhalten. Eine Überschreitung der Acht-Monats-Frist ist nämlich vertretbar, sofern hierfür wichtige Gründe vorliegen.
Werden die derzeit geltenden Verbote nicht verlängert und stehen der Durchführung einer Hauptversammlung daher keine Veranstaltungs- oder sonstigen Verbote mehr entgegen, ist – vorbehaltlich etwaiger künftiger weiterer/anderer Maßnahmen – die Abhaltung einer Hauptversammlung grundsätzlich wieder möglich. Die Durchführung einer Hauptversammlung kann in diesem Fall selbst dann vertretbar sein, wenn weiterhin eine gewisse Ansteckungsgefahr bestehen sollte – solange sämtliche behördliche Auflagen erfüllt werden. Hierzu sollte eine enge Abstimmung mit den zuständigen Behörden erfolgen und angemessene Maßnahmen ergriffen werden, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren (z.B. Abstände an Eingangskontrolle und im Saal, Bereitstellung von Desinfektionsmitteln).
Abhängig von der Entwicklung der Lage und dem Infektionsrisiko erscheint es auch sachgerecht, darauf hinzuwirken, dass möglichst viele Aktionären ihre Stimmrechte wahrnehmen, ohne selbst auf der Hauptversammlung zu erscheinen. Dies kann unter anderem durch die Veröffentlichung ergänzender Informationen an die Aktionäre erfolgen, in denen vor dem Hintergrund der Gefahren des Coronavirus ausdrücklich auf die Bevollmächtigung der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft (nach Möglichkeit bis unmittelbar vor dem Beginn der Abstimmungen verbunden mit einer Bildübertragung der Versammlung) hingewiesen wird (§ 134 Abs. 3 AktG) oder auf die (satzungsmäßige) Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe im Wege der Briefwahl im Vorfeld der Hauptversammlung (§ 118 Abs. 2 AktG).
Kommt es zu einem Verdachtsfall einer Infektion auf der Hauptversammlung selbst, wird es – neben dem im Einzelfall angemessenen tatsächlichen Vorgehen wie z.B. Isolation und Information zuständiger Stellen – dem Versammlungsleiter grundsätzlich auch rechtlich möglich sein, die Teilnahme einzelner an der Hauptversammlung ausschließen, sofern von diesen eine Gefahr für die Gesundheit anderer Teilnehmer ausgeht.
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