Mit Blick auf den raschen und stetig wachsenden Anstieg der COVID-19 Infektionen hat die Bundesregierung das Gesetz „zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ auf den Weg gebracht, das am Mittwoch, den 25. März 2020 im Bundestag im Eilverfahren angenommen wurde.
Das Gesetz soll den wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Corona-Krise für Privatpersonen und Unternehmen entgegengenwirken. Insbesondere finanzielle Engpässe von Verbrauchern, Mietern, Darlehensnehmern und Kleinstunternehmen sollen mithilfe von Zahlungsaufschüben (Moratorien) abgefedert werden. Verbrauchern und Kleinstunternehmen sollen vor allem die Leistungen der Daseinsvorsorge, wie Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste, und ggf. Wasserver- und -entsorgung, trotz Zahlungsschwierigkeiten ihrerseits erhalten bleiben.
Was für die Verbraucher und Kleinstunternehmen für die Zeit des Moratoriums zunächst eine Erleichterung ist, stellt für Energieversorger eine finanzielle Belastungsprobe dar. Das Gesetz kann dazu führen, dass Energieversorger zunächst bis zum 30. Juni - aber mit der Option der Verlängerung des Moratoriums – unter Tragung des vollen Zahlungsausfallrisikos in Vorleistung treten. Die Kunden können Zahlungen für bezogenen Strom und Gas unter den gesetzlichen Voraussetzungen aufschieben, die Energieversorgungsunternehmen haben allerdings die mit der Stromlieferung zusammenhängenden Kosten weiter zu tragen. Ca. ¾ des Strompreises setzen sich aus Umlagen, Abgaben, Stromsteuer und Netzentgelten zusammen. Von diesen Kosten werden die Energielieferanten nicht entbunden, auch wenn sie für den von ihnen gelieferten Strom keine Zahlung vom Letztverbraucher erhalten. Die Kostenanteile sind weiterhin an den Staat bzw. Netzbetreiber abzuführen. Somit führt die Erleichterung für Verbraucher und Kleinstunternehmen zu einer Verschärfung der Situation für die Energielieferanten.
Art. 240 EGBGB,§ 1 Abs. 1 der Vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie sieht ein Moratorium für Verbraucher vor.
Von dem Zahlungsaufschub sind Verbraucherverträge, die ein wesentliches Dauerschuldverhältnis sind und vor dem 08. März 2020 geschlossen wurden, betroffen. Als wesentliche Dauerschuldverhältnisse zählen Verträge zur angemessenen Daseinsvorsorge. Dazu zählen beispielsweise Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste, soweit zivilrechtlich geregelt auch Verträge über die Wasserver- und -entsorgung. Der Verbraucher darf die Zahlung verweigern, wenn diese infolge von Umständen, die auf COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, seinen angemessenen Lebensunterhalt gefährdet. Der Zahlungsaufschub wird bis zum 30. Juni 2020, kann aber durch die Bundesregierung verlängert werden.
Das Recht des Verbrauchers, die Zahlung aufzuschieben, ist ein Leistungsverweigerungsrecht und damit eine Einrede im rechtlichen Sinne. Die Geltendmachung hindert zum einen die Vollstreckbarkeit der Leistung, zum anderen aber auch die Entstehung von Sekundäransprüchen, wie Verzug nach § 286 BGB, Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 BGB und Rücktritt nach § 323 GB.
Der Anspruch bleibt jedoch bestehen und kann nach Ende des Moratoriums wieder geltend gemacht, eingeklagt und vollstreckt werden.
Zu beachten ist, dass laut Gesetzesbegründung das Leistungsverweigerungsrecht auch Forderungen erfassen soll, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits fällig waren. Durch die Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts wird der Anspruch zeitweise nicht mehr durchsetzbar und die Voraussetzungen des Verzugs fallen weg.
Das Gesetz trifft an vielen Stellen keine genauen Aussagen für die praktische Handhabung des Leistungsverweigerungsrechts, was insbesondere auf Seiten der betroffenen Energielieferanten zu Rechtsunsicherheit führt. Dreh- und Angelpunkt für Gläubiger als auch Schuldner wird die Darlegungspflicht und -reichweite werden. Das Leistungsverweigerungsrecht ist als Einrede ausgestaltet, weshalb der Schuldner grundsätzlich belegen muss, dass er gerade wegen der COVID-19-Pandemie nicht leisten kann. Es ist von einer umfassenden Darlegungspflicht des Verbrauchers auszugehen.
Doch obwohl die Darlegungslast geklärt ist, lässt das Gesetz viele Fragen offen, die in der Praxis höchst relevant sind. Beispielsweise stellt sich die Frage, ab wann der angemessene Lebensunterhalt des Verbrauchers oder der unterhaltberechtigten Angehörigen gefährdet ist und in welchem Umfang das Energieversorgungsunternehmen dies prüfen soll und darf. Können Verbraucher darauf verwiesen werden, auf sonstige Rücklagen zurückzugreifen? Wenn ja, was ist die Grenze? Welche Umstände muss der Gläubiger als „Umstände der COVID-19-Pandemie“ anerkennen, welche darf er zurückweisen?
Art. 240 EGBGB,§ 1 Abs. 2 der Vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie sieht zudem ein Moratorium für Kleinstunternehmen vor.
Bei dem Schuldner muss es sich um Kleinstunternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 handeln. Danach sind Kleinstunternehmen Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu EUR 2 Millionen.
Von dem Leistungsverweigerungsrecht betroffen sind Verträge, die ein wesentliches Dauerschuldverhältnis sind und vor dem 08. März 2020 geschlossen wurden. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse sind solche, die zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich sind. Laut Gesetzesentwurf gehören hierzu dieselben Verträge wie auch in der Fallgruppe des Verbrauchermoratoriums.
Ein Kleinstunternehmen darf die Zahlung verweigern, wenn, infolge von Umständen, die auf COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, das Unternehmen entweder die Leistung nicht erbringen kann, oder wenn die Zahlung die wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs gefährdet.
Ebenso wie im Fall der Verbraucher gilt das Leistungsverweigerungsrecht bis zum 30. Juni 2020, mit der Möglichkeit der Verlängerung.
Auch im Rahmen der Regelung für Kleinstunternehmen sind viele Punkte noch offen. Wieder ist die Darlegungspflicht und deren Umfang zentral für sowohl Schuldner, als auch Gläubiger. Gerade bei der Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts durch Unternehmen ist fraglich, in welchem Umfang ein Energielieferant als Gläubiger die Darlegung des Unvermögens zur Zahlung oder die Gefährdung des Erwerbsbetriebs verlangen kann. Können detaillierte Angaben zum Cash Flow, zum Umsatz und seinen Veränderungen, oder Maßnahmen des Unternehmens zur Verbesserung der Liquiditätssituation verlangt werden? Das Gesetz sieht vor, einem Missbrauch dadurch entgegenzuwirken, dass schon vorher bestehende Zahlungsschwierigkeiten und finanzielle Engpässe von Unternehmen, die in keinem Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehen, nicht zur Einrede berechtigen. Nach welchen Kriterien das Energieversorgungsunternehmen allerdings bei der Vielzahl der möglichen Fälle im Einzelfall beurteilen soll, ob das Nichtvermögen zur Leistung auf der COVID-19-Pandemie oder auf sonstigen Gründen beruht, lässt das Gesetz offen. Besondere Herausforderungen werden sich für Energieversorger auch bei der Beurteilung der Situation von Freiberuflern und Einzelunternehmern stellen.
Die Unklarheiten werden ferner durch das sehr weite Merkmal der Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebs verschärft. Kriterien wann eine solche Gefährdung vorliegen soll, werden durch das Gesetz nicht beantwortet. Kommt es darauf an, dass durch die Pandemie Aufträge weggefallen sind, oder reichen sonstige Vermögenseinbußen wie z.B. eine verspätete Rechnungslegung aufgrund von individueller Krankheit aus? Und wie weit reicht die Darlegungs- und Beweispflicht in diesen Fällen?
Praktische Fragen, deren Beantwortung für die Bewältigung des neuen Leistungsverweigerungsrechts unverzichtbar sind.
Art. 240 EGBGB, § 1 Abs. III der Vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie sieht eine Unzumutbarkeitsregelung für das Gläubigerunternehmen vor. Diese ist untergliedert die oben genannten Fallgruppen: Leistungsverweigerungsrecht durch den Verbraucher einerseits, und durch Kleinstunternehmen andererseits.
Ein Zahlungsaufschub für Verbraucher nach Abs. 1 kann bei Unzumutbarkeit für den Gläubiger nicht geltend gemacht werden. Unzumutbarkeit liegt vor, wenn die Nichtzahlung die wirtschaftliche Grundlage des Gewerbebetriebs des Gläubigers gefährden würde. Konkrete Anhaltspunkte dafür, wann eine Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage des Gewerbebetriebes gegeben ist, gibt der Gesetzgeber nicht. Es liegt hier jedoch nahe, in Anlehnung an ordnungsrechtliche Grundsätze bereits eine abstrakte Gefährdungslage genügen zu lassen. Dies würde bedeuten, dass die Geltendmachung des Zahlungsaufschub – wohl nicht im Einzelfall sondern die Summe der geltend gemachten Zahlungsaufschübe – abstrakt die Existenzgefährdung des Gläubigers begründen muss. Diese Schwelle wäre spätestens dann überschritten, wenn eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens im Sinne von § 18 Insolvenzordnung (InsO) zu besorgen wäre.
Auch der Wegfall des Leistungsverweigerungsrechts bei Kleinstunternehmen knüpft an die Unzumutbarkeit für den Gläubiger an. Diese soll jedoch neben der Gefährdung der wirtschaftliche Grundlagen seines Gewerbebetriebs auch dann vorliegen, wenn die Nichtzahlung seinen angemessenen Lebensunterhalt gefährdet. Offen bleibt, auf welche Fallgruppe sich das Kriterium der Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts im Fall der Anbieter von Leistungen der Daseinsfürsorge bezieht. Klar ist jedoch, dass die entsprechende Unzumutbarkeitsschwelle für den Gläubiger bei einem Fall der Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts sehr viel niedriger liegt als bei der Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage seines Gewerbebetriebes. Auf insolvenzrechtliche Auslegungskriterien wird hier nicht abzustellen sein.
Warum sich die Definition der Unzumutbarkeit unterscheidet, ist nicht ersichtlich. Generell scheint das Gesetz eine Art Waffengleichheit herstellen zu wollen. Laut Gesetzesbegründung muss die Leistungsverweigerung für den Gläubiger zu Umständen führen, die so unzumutbar sind, wie es die Leistungserbringung für den Schuldner wäre.
Können Verbraucher oder Kleinstunternehmen ihr Leistungsverweigerungsrecht aufgrund von Unzumutbarkeit für den Gläubiger nicht geltend machen, so haben sie das Recht, den Vertrag zu kündigen.
Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht ist nicht nur eine finanzielle und wirtschaftliche Belastung für Unternehmen aus der Daseinsvorsorge, sondern birgt für diese zudem große Rechtsunsicherheit und offene Fragen. Wie die praktische Handhabung gestaltet wird, bleibt abzuwarten. Bis zur weiteren Klärung der Rechtslage ist daher für die Unternehmen der Daseinsvorsorge zu empfehlen, im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Einrede vorliegen oder ob mit Verweis auf die Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage ihres Gewerbebetriebes Leistungsverweigerungsverlangen zurückzuweisen sind. Das Risiko, dass dies eine Kündigungsrecht des Verbrauchers oder Kleinstunternehmens begründen kann, ist dabei zu berücksichtigen.
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