Die deutschen Vorschriften zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen waren jahrzehntelang erwerberfreundlich ausgestaltet. Die Beteiligung ausländischer Investoren in deutsche Unternehmen waren willkommen, und von den vorhandenen Möglichkeiten zur Einschränkung solcher Investitionen wurde kaum je Gebrauch gemacht. In den 90er Jahren erwarben vor allem große US-Unternehmen substantielle Beteiligungen an der "Deutschland AG". Seit ungefähr zehn Jahren sind auch die Chinesen mit von der Partie; eine Welle von Übernahmen deutscher Unternehmen durch chinesische Investoren setzte ein, die 2017 ihren Höhepunkt erreichte. Doch zur gleichen Zeit verschafften sich zunehmend kritische Stimmen Gehör und warnten vor einem Ausverkauf der deutschen Kerntechnologien. Die Gesetzgebungsmaschine kam langsam in Gang und brachte mehrere Verschärfungen der deutschen Regeln zur Überwachung von Direktinvestitionen hervor. Während die bisher erfolgten Änderungen dieser Regeln – nach Meinung des Verfassers – wenig mehr als kosmetischer Natur waren, könnte ein kürzlich bekanntgewordener Änderungsvorschlag deutlich tiefgreifendere Auswirkungen haben. Vielleicht aber auch nicht – denn er kommt zu einer Zeit, in der die chinesischen Investoren schon wegbleiben.
Die einschlägigen Bestimmungen zur Überwachung ausländischer Direktinvestitionen sind verankert in der Außenwirtschaftsverordnung (AWV), einer Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG). Die AWV unterscheidet zwischen einer Überprüfung, die für alle Industrien gilt (Sektorübergreifende Prüfung gemäß § 55 AWV), und einer Überprüfung für bestimmte Branchen (Sektorspezifische Prüfung gemäß § 60 AWV). Nachfolgend wird zunächst die Rechtslage bis 2017 dargestellt.
Erwirbt ein Unionsfremder, d.h. ein Nicht-EU-Bürger, eine Beteiligung von mindestens 25% der Stimmrechte an einem deutschen Unternehmen, kann das BMWi prüfen, ob die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch diesen Erwerb gefährdet ist. Eine derartige Gefährdung ist nach bisheriger Rechtslage nur dann gegeben, wenn fundamentale Interessen der Gesellschaft gegenwärtig und ernsthaft bedroht sind. Nach allgemeiner Ansicht kommt dies in Betracht, wenn Gegenstand der Direktinvestition Unternehmen sind, die im Bereich der Daseinsvorsorge aktiv sind, z.B. Wasserversorgung, Elektrizität, Energie und Telekommunikation, wo ein Mißbrauch wirtschaftlicher Kontrolle zum Stillstand der Gesellschaft führen kann. Auf andere Bereiche, namentlich Hoch- und Zukunftstech-ologien in Industrieproduktion, Robotik und Ingenieurwesen, war § 55 AWV nicht anwendbar.
Es bestand keine Verpflichtung, derartige Transaktionen dem BMWi anzuzeigen. Das BMWi konnte innerhalb von drei Monaten nach Abschluß des Kaufvertrags ein Prüfverfahren einleiten. Der Erwerber konnte seinerseits eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragen, um Rechtssicherheit zu erlangen. In diesem Fall mußte das BMWi innerhalb eines Monats nach Eingang der Anzeige des Vertragsschlusses ein Prüfungsverfahren einleiten. Geschah dies nicht, galt die Unbedenklichkeitsbescheinigung als erteilt.
Das BMWi konnte den Erwerb innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der entsprechenden Unterlagen untersagen, wenn der Erwerb die öffentliche Ordnung oder Sicherheit Deutschlands gefährdete. Wenn keine Einwände gegen den Erwerb im Hinblick auf die öffentliche Ordnung oder Sicherheit Deutschlands erhoben werden konnten, mußte das BMWi eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilen.
Erwirbt ein Unionsfremder eine Beteiligung von mindestens 25% der Stimmrechte an einem deutschen Unternehmen, das in bestimmten sensiblen Branchen tätig ist, kann das BMWi prüfen, ob durch den Erwerb wesentliche Sicherheitsinteressen Deutschlands bedroht sind. Relevante Branchen waren bis 2017 nur die Herstellung von Kriegswaffen und Motoren bzw. Getrieben für militärische Kettenfahrzeuge sowie von IT-Sicherheitsprodukte, die für die Staatssicherheit von Bedeutung sind.
Jede Akquisition in diesen Branchen mußte dem BMWi angezeigt werden. Das BMWi konnte dann innerhalb eines Monats ein Prüfverfahren einleiten; anderenfalls galt die Freigabe als erteilt. Ergab die Prüfung keine Gefährdung wesentlicher Sicherheitsinteressen Deutschlands, mußte eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt werden.
Nach diesen Bestimmungen konnte das BMWi gegen ausländische Direktinvestitionen nur in sehr engen Grenzen tätig werden, da es stets nachweisen mußte, dass der fragliche Erwerb eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder wesentlicher Sicherheitsinteressen Deutschlands widersprach. Es verwundert daher nicht, dass die Bestimmungen der §§ 55 und § 60 AWV bis 2017 kaum angewendet wurden.
Im Juni 2016 erwarb die Midea Group, ein chinesischer Elektrogerätehersteller, für circa 4,5 Mrd. EUR einen Stimmrechtsanteil von 74,55 % an der KUKA AG, einem deutschen Hersteller von Industrierobotern und Automatisierungslösungen. Diese Transaktion löste in der deutschen Presse einen Aufschrei aus; Kritiker sahen darin einen Ausverkauf zentraler Technologien an die Chinesen mit ihren wachsenden Ambitionen in der Welt der Automatisierung. Das BMWi sah sich dem Vorwurf der Nachlässigkeit ausgesetzt und wurde daher sofort aktiv, als der nächste große Deal auf dem Radar erschien. Im Oktober 2016 versuchte der Fujian Grand Chip Investment Fund, den in Deutschland ansässigen europäischen Halbleitertechnologiehersteller Aixtron SE zu übernehmen. Das BMWi wiederrief eine bereits nach den Vorschriften der AWV erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung und berief sich zur Rechtfertigung darauf, neue sicherheitsrelevante Informationen von US-Behörden erhalten zu haben (weitere Einzelheiten wurden allerdings nicht mitgeteilt). Der Fujian Grand Chip Investment Fund zog sich schließlich unter dem Druck des CFIUS, dem Ausschuß der US-Regierung für die Kontrolle von Auslandsinvestitionen, von der Akquisition zurück, so dass die vom BMWi eingeleitete Überprüfung nie abgeschlossen wurde. Als nächstes folgte die Übernahme des Geschäftsbereichs Glühbirnen der Osram Licht AG durch ein von MLS Co. Ltd. geführtes Konsortium für mehr als 400 Mio. EUR. Das BMWi leitete mit großem Applomb eine Prüfung der Übernahme im Rahmen der AWV ein – und mußte wenig später die Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilen.
Keine dieser Transaktionen hätte vom BMWi auf der Grundlage des damals bestehenden Regelungsrahmens rechtmäßig untersagt werden können. Es wurde offenbar, wie beschränkt das gesetzliche Instrumentarium zur Untersagung von Übernahmen war, die nach Auffassung der Bundesregierung zu einem Technologietransfer an einen Hauptwettbewerber auf dem Weltmarkt führen konnten.
Am 18. Juli 2017 verabschiedete das BMWi eine Änderung der AWV. Als wichtigste Änderung bietet die AWV nun Leitlinien für die Auslegung des Begriffs „Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit “ durch die Auflistung verschiedener Branchen, für die diese Bedrohung „insbesondere“ vorliegen kann. Zu diesen Branchen gehören Betreiber sogenannter „kritischer Infrastrukturen“ (d.h. Infrastrukturen in Bereichen wie Energieversorgung, Wasserversorgung, Informationstechnologie und Telekommunikation, Finanzen und Versicherungen, Gesundheit, Verkehr, sowie Ernährung, sofern sie eine bestimmte Einflußgröße wie z.B. die Versorgung von 500.000 oder mehr Bürgern erreichen), ferner Betreiber, Entwickler und Anbieter solcher „kritischen Infrastrukturen“ wie Unternehmen auf dem Gebiet der Telekommunikation, Software, bestimmter Cloud-Computing-Dienste oder Unternehmen, die sich mit Telematikinfrastruktur befassen. Akquisitionen von Unternehmen, die in den aufgeführten kritischen Sektoren tätig sind, fallen nun unter ein obligatorisches Anmeldesystem. Der neue Katalog der betroffenen Branchen ist nicht abeschließend, d.h. das BMWi ist berechtigt, eine Prüfung auch in nicht genannten Branchen einzuleiten. In die sektorspezifische Prüfung wurden ferner sicherheitsrelevante Branchen aufgenommen, wie militärische Schlüsseltechnologien und Sensortechnologie. Schließlich wurden die Prüfzeiträume verlängert und eine Aussetzung der Fristen für das Prüfverfahren für den Fall vorgesehen, dass das BMWi mit den Parteien verhandelt.
Es stellte sich bald heraus, dass diese Änderungen sich hauptsächlich auf das Verfahren auswirkten und die Anzahl anzuzeigender Transaktionen erhöhten, ohne jedoch die Handhabe für die Untersagung einer Transaktion wesentlich zu erweitern. Die geänderte AWV sah keine Vermutung einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit für den Fall vor, dass das betreffende Unternehmen in einem der aufgeführten kritischen Sektoren tätig ist. Nach wie vor mußte das BMWi beweisen, dass im konkreten Fall eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder wesentlicher Sicherheitsinteressen Deutschlands bestand.
Die begrenzten Eingriffsmöglichkeiten des BMWi wurden im Juli 2018 erneut offenbar, als die chinesische State Grid Corporation einen Anteil von 20 % an dem deutschen Netzbetreiber 50Hertz Transmission GmbH erwarb. Da eine Überprüfung im Rahmen der AWV nur für Akquisitionen von mindestens 25 % möglich war, setzte das BMWi einen anderen Aktionär des Unternehmens unter Druck, von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen; gleichzeitig wurde die staatliche Entwicklungsbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) angewiesen, von dem Käufer den so erworbenen Anteil zu übernehmen. Dieser eklatante Mißbrauch der KfW wurde vom Ministerium mit "sicherheitspolitischen Überlegungen" und einem "starken Interesse am Schutz kritischer Energieinfrastrukturen" gerechtfertigt. Um ähnliche Vorfälle künftig zu vermeiden, wurde im Dezember 2018 eine weitere Änderung der AWV verabschiedet. Die relevante Beteiligungsschwelle von 25 % wurde für die im Rahmen der voranagegangenen Änderung identifizierten Branchen auf 10 % reduziert. Ferner wurden Unternehmen der Medienwirtschaft in den Kreis der Branchen mit reduziertem Schwellenwert einbezogen.
Die Bundesregierung will die bestehenden Regelungen erneut verschärfen. Am 30. Januar 2020 veröffentlichte das BMWi einen Referentenentwurf zur Änderung des AWG und der AWV. Die Hauptmerkmale der vorgeschlagenen Reform sind folgende:
Der Entwurf wurde zur Stellungnahme an die einschlägigen Fachverbände weitergeleitet. Wenig überraschend haben die Befürworter eines freiheitlichen Rechtsrahmens für ausländische Direktinvestitionen den Entwurf kritisiert. Die Besorgnis ist weit verbreitet, dass die neuen Regeln zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit für ausländische Investoren ebenso wie für deutsche Unternehmen führen werden, und dass dadurch dringend benötigte Investitionen unterbleiben. Man wird freilich nicht davon ausgehen können, dass der Gesetzgeber sich diese Kritik zu Herzen nehmen wird, weshalb allgemein erwartet wird, dass die vorgesehenen Änderungen im Laufe des Frühjahres Gesetzeskraft erlangen werden.
In diesem Fall würde der Bereich der deutschen Industrie, der im Rahmen der AWV einer Investitionsprüfung unterzogen werden kann, nachhaltig ausgedehnt. In diesem stark erweiterten Spielfeld hätte das BMWi einen substantiellen Ermessensspielraum, unerwünschte Transaktionen zu blockieren, vergleichbar mit den Befugnissen des CFIUS in den USA. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass die Überprüfung von Direktinvestitionen mehr Zeit in Anspruch nimmt und zu erhöhtem Aufwand für alle Beteiligten führt – nicht eben eine ungewöhnliche Folge staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft.
Es liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache, dass sich diese legislative Aufrüstung dennoch als wirkungslos erweisen könnte – und zwar aus Mangel an Objekten. Nach einem starken Rückgang der chinesischen Investitionstätigkeit in Deutschland und der EU bereits im Jahr 2018 ist das Volumen derartiger Investitionen in den ersten beiden Quartalen 2019 erneut um 26 % gesunken und hat den niedrigsten Stand seit 2015 erreicht. Insbesondere die chinesischen Staatsunternehmen haben sich praktisch komplett zurückgezogen; ihr Anteil an den chinesischen Direktinvestitionen in der EU ging im ersten Halbjahr 2019 von 68 % im Vorjahr auf lediglich 6 % zurück, ohne dass eine Trendwende in Sicht wäre. Auch ohne die durch COVID-19 verursachten Turbulenzen bestünde kein Grund, in näherer Zukunft wieder einen gesteigerten Appetit chinesischer Unternehmen auf Direktinvestitionen in Deutschland zu erwarten. Die vorgeschlagene Verschärfung von AWG und AWV wird da erst recht nicht helfen.
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