Anmerkung zum Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 30. Juli 2020 – Az.: 5 O 66/20 (nicht rechtskräftig)
Keine mietrechtliche Frage wurde seit Beginn der Covid 19-Pandemie in der Immobilienwirtschaft in Deutschland hitziger diskutiert als die Frage, ob ein Mieter trotz behördlich angeordneter Schließungen seiner Geschäftsräume aufgrund sogenannter Corona-Verordnungen weiter zur Mietzahlung verpflichtet bleibt. Mit Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 30. Juli 2020 wurde diese Frage nun erstmalig erstinstanzlich entschieden.
Das Landgericht kommt in seinem Urteil, welches jedoch noch nicht rechtskräftig ist, zu dem vermieterfreundlichen Ergebnis, dass der Mieter, nicht berechtigt gewesen sei, die Mietzahlungen für den Zeitraum der angeordneten Schließung seiner Filiale einzustellen.
Der Kläger ist Vermieter eines Geschäftsraumes in einer Stadt in Baden-Württemberg. Der Beklagte, ein weltweit tätiges Bekleidungsunternehmen, ist Mieter dieser Filiale, die diesem zur Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts mit sämtlichen Waren des täglichen Gebrauchs vermietet ist. In dem Mietvertrag haben die Parteien eine Grundmiete mit einer Umsatzmiete vereinbart. Die abhängig von erzielten Umsatzwerten in der Filiale pro Kalenderjahr erhöhte Miete soll nach Ablauf eines Kalenderjahres an den Vermieter geleistet werden.
Zwischen dem 18. März 2020 und 19. April 2020 kam es zur Schließung der Filiale auf Grundlage der Coronaverordnung der Landesregierung Baden-Württemberg. Der Mieter zahlte daraufhin die Miete für April 2020 nicht; als Folge verklagte der Vermieter den Mieter auf Zahlung der Miete für April 2020.
Das Landgericht hat den Mieter verurteilt, die Grundmiete für den Monat April 2020 in voller Höhe an den Vermieter zu zahlen.
Aus Sicht des Landgerichts sei der Mieter nicht berechtigt, die Miete nach § 536 Abs. 1 BGB zu mindern. Es liege auch kein Fall der Unmöglichkeit der Gebrauchsüberlassung nach § 275 BGB mit der Folge des Entfalls der Gegenleistung (Mietzahlung) nach § 326 Abs. 1 BGB vor. Schließlich komme im vorliegenden Fall auch keine Vertragsanpassung nach § 313 BGB in Betracht.
Aus Sicht des Landgerichts weise die Mietsache keinen Mangel auf. Zwar können auch öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und –beschränkungen die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch mindern und damit einen Sachmangel darstellen; Voraussetzung sei aber, dass die Beschränkungen der konkret vermieteten Sache ihre Ursache gerade in deren Beschaffenheit und Beziehung zur Umwelt haben und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters liegen. Die Schließungsverfügung aufgrund Coronaverordnung begründe vorliegend keinen solchen Sachmangel, da sie dem Schutz der Bevölkerung vor allgemeinen gesundheitlichen Gefahren diene und nicht unmittelbar an die konkrete Beschaffenheit der Mietsache, sondern allein an den Betrieb des jeweiligen Mieters anknüpfe. Die behördlichen Maßnahmen stellen nach Auffassung des Landgerichts dabei aber nicht auf die konkreten baulichen Gegebenheiten ab, sondern allgemein auf die Nutzungsart sowie den Umstand, dass in den betroffenen Flächen Publikumsverkehr stattfindet und dies Infektionen begünstige. Auch der im Mietvertrag vereinbarte Mietzweck ändere an diesem Ergebnis nichts, da die Mietsache zu dem vereinbarten Zweck (Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts mit sämtlichen Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs gemäß Kurzbaubeschreibung) in gleicher Weise geeignet sei, wie vor dem hoheitlichen Einschreiten. Es sei lediglich dessen Betrieb untersagt, losgelöst von Fragen der Beschaffenheit oder Lage der Mietsache, was letztlich in den Risikobereich des Mieters falle. In dieser Frage setzt sich das Landgericht zwar mit den von der Mieterseite ins Feld geführten und von der Literatur oftmals herangezogenen Rechtsprechung des Reichsgerichts zu „Tanzverboten“ (vgl. RG, Urt. v. 20. Februar 1917, III 384/18; Urt. v. 9. November 1915, III 145/15) auseinander, kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass es sich im vorliegenden Fall um Beschränkungen, die losgelöst von der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache handelt und daher nach heutigen Maßstäben – in Abkehr zu der Rechtsprechung des Reichsgerichts – nicht als Mangel der Mietsache zu qualifizieren seien.
Das Landgericht sieht vorliegend ebenso keinen Fall der Unmöglichkeit der Hauptleistungspflicht des Vermieters (Überlassung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand). Es begründet dieses Ergebnis damit, dass der Mieter von der Entrichtung der Miete nicht dadurch befreit werde, dass er durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Ausübung seines Gebrauchsrechts gehindert werde, sondern die Störung lediglich die Nutzungstätigkeit des Mieters, aber nicht die Nutzungstauglichkeit der Mietsache als solche betrifft. Nach dem Mietvertrag erfolgte die Vermietung zur Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts mit sämtlichen Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs, welche der Mieter zwar im Zeitraum der behördlichen Schließungsverfügung nicht als Verkaufsräume, aber dennoch als Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts hätte nutzen können. Das Verwendungsrisiko treffe vorliegend insoweit den Mieter und die Vermieterleistung sei auf die Bereitstellung der Mietsache im gebrauchstauglichen Zustand beschränkt. Nach einer Übergabe der Mietsache seien die Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts aus diesem Grund durch das besondere Gewährleistungssystem des Mietrechts (§ 535 ff. BGB) verdrängt.
Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Partei eine Anpassung des Vertrags verlangen, falls sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie die Veränderung diese Veränderung vorausgesehen hätten, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Ob § 313 Abs. 1 BGB im vorliegenden Fall dem Grunde nach, aufgrund einer Sperrwirkung vertraglicher Regelungen – etwa aufgrund der vereinbarten Umsatzmiete – oder gesetzlicher Regelungen – etwa des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 – überhaupt Anwendung findet, lässt das Landgericht in seiner Entscheidung offen, da es nach seiner Ansicht an der Unzumutbarkeit für den Mieter in jedem Fall fehle. Nach Auffassung des Landgerichts stelle die Schließungsanordnung zwar eine Störung der Geschäftsgrundlage dar. Vorliegend sei allerdings ein unverändertes Festhalten an der vertraglich vereinbarten Mietzahlung unter Abwägung aller Umstände einschließlich der vertraglichen Risikoverteilung zumutbar.
Begründet wird dies zunächst mit dem Verwendungsrisiko der Mietsache, welches grundsätzlich den Mieter treffe. Der Mieter trage im vorliegenden Fall das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Bei Verwirklichung dieses Risikos sei für den Mieter – abgesehen von extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existentiell bedeutsamen Folgen für den Mieter – eine Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen. Dass ein entsprechender Ausnahmefall (Existenzgefährdung des Mieters aufgrund Einnahmeausfalls) vorliegend einschlägig ist, habe der Mieter im konkreten Fall jedoch nicht ausreichend substantiiert dargelegt. Die vom Mieter angeführten Umsatzrückgänge von 45,42% im März und von 39,25% im April sowie der Einführung von Kurzarbeit für einen Großteil der Belegschaft reichen nach Ansicht des Landgerichts nicht aus, um eine Existenzgefährdung bzw. eine unzumutbare wirtschaftliche Beeinträchtigung zu begründen. Schließlich habe der Mieter auch keine besonderen Bemühungen bezüglich einer Umsatzgenerierung (etwas durch Onlinehandel) veranstaltet, bzw. hierzu nicht ausreichend vorgetragen. Aus diesem Grund liege für den Mieter keine Unzumutbarkeit im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB vor. Auch aus der vereinbarten Mindestmiete mit zusätzlicher Umsatzmiete ergebe sich abschließend nichts Gegenteiliges, da daraus insbesondere nicht der Wille der Parteien abgebildet werden könne, dass auch der Vermieter an Einbußen, aufgrund nachteiliger Veränderung der Marktlage zu partizipieren habe. In der Begründung der Zumutbarkeit führt das Landgericht schließlich auch an, dass der Mieter die Räume, insbesondere die Lagerräume weiterhin genutzt habe und sich auch Mitarbeiter während der Schließungszeit in den Räumlichkeiten befunden hätten, die verderbliche Ware und Saisonware abgebaut haben.
Das Urteil kommt zu dem für Vermieter positiven Ergebnis, dass Schließungsanordnungen aufgrund von Coronaverordnungen keinen Rechtsmangel der Mietsache begründen, die – unabhängig von einem etwaigen Verschulden – Mieter zu einer Minderung der Miete berechtigen würden. Zwar schließt das Gericht mögliche Mietreduktionen auf Grundlage der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht kategorisch aus. Allerdings setzt es die Darlegungs- und Beweisanforderungen zum Nachweis einer Existenzgefährdung oder einer vergleichbaren unzumutbaren wirtschaftlichen Beeinträchtigung nach § 313 Abs. 1 BGB äußerst hoch an, sodass sich im Ergebnis nur Mieter hierauf berufen könnten, die sich in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befinden und die dies auch entsprechend darlegen und nachweisen können, was insbesondere bei international agierenden Unternehmen auf Mieterseite oftmals nur schwer möglich sein dürfte.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung zur Frage des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB bei einem anderen Mieter bzw. bei konkreterem Tatsachenvortrag des Mieters auch anders hätte ausfallen können. Es bleibt daher abzuwarten, ob andere Gerichte dem Urteil des Landgerichts Heidelberg folgen werden, oder zu einer abweichenden Auffassung in Bezug auf das Vorliegen eines Mangels der Mietsache, insbesondere unter Berücksichtigung eines vereinbarten Mietzwecks, der Anwendbarkeit des § 275 Abs. 1 BGB und damit des Entfalls der Gegenleistung sowie bei der Anwendbarkeit des § 313 BGB und der Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale gelangen. Rechtsklarheit dürfte vor dem Vorliegen eines höchstrichterlichen Urteils bei dieser Frage daher nicht zu erwarten sein.
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