Weitreichende Folgen für Arbeitgeber
Der Bundestag hat am 23.06.2022 den Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen verabschiedet. Mit diesem wird u.a. das Nachweisgesetz geändert. Das Gesetz hat für Arbeitgeber weitreichende Folgen. Arbeitsverträge sind anzupassen und die Arbeit von Personalabteilungen wird umfangreicher.
Klicken Sie hier, um die hauptsächlichen Änderungen des Gesetzesentwurfes auf einen Blick zu erfassen.
Mit der Änderung des Nachweisgesetzes (NachwG) wird die Richtlinie EU 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen („Richtlinie“) umgesetzt. Ziel dieser Richtlinie ist es, die Unterrichtung über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses sowie die Arbeitsbedingungen europaweit zu vereinheitlichen und hierdurch für eine größere Transparenz und Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen. Die Richtlinie statuiert u.a. Unterrichtungspflichten und sieht Mindestanforderungen an bestimmte Arbeitsbedingungen vor. Zur Durchsetzung der Richtlinienvorgaben sollen die Mitgliedstaaten wirksame und abschreckende Sanktionen für die Verletzung der aus der Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen festlegen.
Zum Leidwesen für Arbeitgeber geht das reformierte Nachweisgesetz teilweise über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. So bleibt im Nachweisgesetz z.B. das Schriftformerfordernis für die Unterrichtung über die wesentlichen Vertragsbedingungen erhalten, obwohl nach der Richtlinie auch die elektronische Form genügt hätte.
Streitfragen sind aufgrund der unklaren Regelungen vorprogrammiert. Hierbei wird auch aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung relevant, ob der Sinn und Zweck der Richtlinie bei der Umsetzung ausreichend beachtet wurde.
Vor der Reform wurde das Nachweisgesetz häufig als „zahnloser Papiertiger“ betrachtet, da Verstöße zwar theoretisch Erfüllungsansprüche der Beschäftigten und Schadenersatzansprüche auslösen konnten, Verstöße aber im Übrigen nicht sanktioniert waren.
Das Nachweisgesetz regelt in § 4 n.F. nun Ordnungswidrigkeiten mit einem Bußgeld in Höhe von EUR 2.000. Das Bußgeld gilt je Einzelfall, also je Beschäftigtem, der entgegen den Vorgaben des Nachweisgesetzes z.B. „nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig“ unterrichtet wird.
Verstöße gegen das Nachweisgesetz ändern aber auch in Zukunft nichts an dem Bestand des Arbeitsverhältnisses, seiner Laufzeit oder den kündigungsschutzrechtlichen Rahmenbedingungen.
Große Kritik von Arbeitgeberseite erfuhr bereits vor der Beschlussfassung des Bundestags am 23. Juni 2022 die Beibehaltung des Schriftformerfordernisses. Schriftform erfordert die Ausfertigung und Aushändigung auf Papier mit eigenhändigen Unterschriften. Der Gesetzgeber hat sich leider gegen die Zulässigkeit der elektronischen Form entschieden; die Richtlinie hätte das zugelassen.
In Anbetracht der Digitalisierung ist das ein deutlicher Rückschritt. Unternehmen, welche Bußgelder wegen Verstoßes gegen das Nachweisgesetz vermeiden wollen, müssen nun zwingend die Schriftform einhalten. Arbeitgeber müssen nun auch bei digitalen Personalakten zu Nachweiszwecken Originale aufbewahren und haben damit doppelten Aufwand bei der physischen und digitalen Aufbewahrung.
Das reformierte Nachweisgesetz gilt ab dem 1. August 2022. Es gilt ausnahmslos für alle Arbeitsverhältnisse. und für Praktika (vgl. § 2 Abs. 1a NachwG alte wie neue Fassung).
Der Katalog darzustellender Angaben wird deutlich verschärft und ausgeweitet. Zur besseren Orientierung haben wir für Sie in der anliegenden Übersicht die Alt- und Neufassung des Nachweisgesetzes gegenübergestellt und die Änderungen gekennzeichnet.
Aktiv tätig werden müssen Arbeitgeber in jedem Fall bei Neueinstellungen ab dem 1. August 2022. Die Neuregelung sieht für die Unterrichtung eine dreistufige Frist vor (verkürzte Darstellung):
In der Praxis wird die Fristenregelung darauf hinauslaufen, dass der schriftliche Arbeitsvertrag mit allen wesentlichen Vertragsbedingungen vor Arbeitsbeginn, spätestens am ersten Arbeitstag, vorliegt. Das gebietet die Praktikabilität und Risikominimierung.
Beschäftigte, die bereits vor dem 1. August 2022 eingestellt wurden, muss der Arbeitgeber nur auf deren Verlangen über die im reformierten Nachweisgesetz genannten wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich unterrichten, soweit diese Vertragsbedingungen nicht bereits in dem – die Schriftform wahrenden – Arbeitsvertrag aufgeführt sind.
Verlangen Beschäftigte indes berechtigt eine Niederschrift, so ist ihnen diese innerhalb von sieben Tagen auszuhändigen (§ 5 Satz 1 NachwG n.F.).
Um einen kurzfristigen Aufwand möglichst zu vermeiden, ist anzuraten, sich bereits im Juli 2022 auf entsprechende Informationsansprüche bzw. Verlangen vorzubereiten und ein entsprechendes Muster anzufertigen. Machen Beschäftigte Informationsansprüche geltend, muss aber leider im Einzelfall geprüft werden, welche Informationen u.U. noch nicht erteilt wurden. Das kann zum Beispiel bereits bei der erforderlichen Beschreibung der vereinbarten Tätigkeit der Fall sein.
Nicht geändert hat sich das Erfordernis, eine kurze Charakterisierung oder Beschreibung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit in den Arbeitsvertrag aufzunehmen. Was nun aber nicht mehr reicht, wenn ein Unternehmen ein Bußgeld verlässlich vermeiden möchte: Die schlagwortartige Angabe der Berufsbezeichnung wie z.B. „Die Arbeitnehmerin wird als Rechtsanwältin tätig.“, ohne diese Tätigkeit zu charakterisieren oder zu beschreiben. Aufgenommen werden muss nun ein Zusatz wie z.B. „Zu ihren Aufgaben gehört insbesondere […].“, soweit z.B. nicht auf eine Stellenbeschreibung Bezug genommen werden kann. Letztere ist zur Wahrung des Formerfordernisses dem Arbeitsvertrag beizufügen.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 NachwG n.F. muss die Dauer einer vereinbarten Probezeit angegeben werden. Arbeitsverträge enthalten in der Regel bereits eine entsprechende Regelung. Mit dem am 23.06.2022 verabschiedeten Gesetz wurde auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) angepasst. § 15 Abs. 3 TzBfG n.F. sieht nun vor: „Wird für ein befristetes Arbeitsverhältnis eine Probezeit vereinbart, so muss diese im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen.“ Damit kann bei befristeten Arbeitsverhältnissen nicht mehr pauschal eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart werden. Die Probezeit muss nun „verhältnismäßig“ sein.
Was das genau bedeutet, bleibt leider offen. Gravierende Folgen sollten für Arbeitgeber aber nicht eintreten, wenn die vereinbarte Probezeit unverhältnismäßig ist. Zwar ist die Probezeit dann nicht wirksam vereinbart und die verkürzte Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB findet keine Anwendung. Unabhängig davon bleibt die sechsmonatige Wartezeit für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes, soweit das Recht zur ordentlichen Kündigung im befristeten Arbeitsverhältnis vereinbart ist.
In Arbeitsverträgen ist in Zukunft das Gehalt in dessen einzelne Bestandteile aufzugliedern und entsprechend darzustellen (einschl. Fälligkeit und Art der Gewährung). Regelungen, die ein „Gesamtgehalt“ oder einen „Stundenlohn“ vorsehen, das/der „alle Zulagen, Sonderzahlungen etc.“ beinhaltet, verstoßen gegen das Nachweisgesetz. Die Regelung, dass entweder alle oder ein Teil der Überstunden mit der Zahlung des Gehaltes abgegolten sind, dürfte aber zulässig bleiben, wenn man die Regelung so gestaltet oder auslegt, dass die Überstunden (in dem entsprechenden Umfang) eben nicht vergütet werden.
Abzuraten ist aber z.B. in der Zukunft von Regelungen, nach der in der Vergütung eines Arbeitnehmers die Kosten für eine etwaige Tätigkeit im Mobile Office oder Homeoffice enthalten sind, auch wenn mit derartigen Regelungen „nur“ ein potentieller Aufwendungsersatzanspruch erfasst ist. Sinn und Zweck der Richtlinie erfordern jedenfalls eine „Aufgliederung“ des Arbeitsentgelts, so dass bei einer derartigen Regelung nicht klar ist, welcher Teil des Betrages als Vergütung und welcher Teil als Aufwendungsersatz anzusehen ist.
Ergänzt wurden die Angaben zur Arbeitszeit mit dem Erfordernis, die vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten anzugeben. Während man unter der Ruhepause Unterbrechungen der Arbeitszeit von bestimmter Dauer, die der Erholung dienen, versteht, ist die Ruhezeit definiert als die festgelegte arbeitsfreie Zeit zwischen dem Ende und dem Beginn der Arbeit. Soweit nicht anders geregelt, beträgt die gesetzliche Ruhepause (§ 4 ArbZG) mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden. Die gesetzliche Ruhezeit (§ 5 ArbZG) beträgt mindestens elf Stunden, soweit keine Ausnahmeregelung zur Anwendung gelangt und die Ruhezeit verkürzt ist.
Gerade in größeren Betrieben, insbesondere Produktionsbetrieben mit unterschiedlichen Schichtmodellen, wird sich anbieten, die Angaben zum Schichtsystem, dem Schichtrhythmus und den Voraussetzungen für eine Schichtänderung in einer Anlage zum Arbeitsvertrag allgemein darzustellen und den Beschäftigten in dieser Anlage mitzuteilen, in welches Schichtsystem sie derzeit fallen. Anderenfalls müssten Musterarbeitsverträge für Beschäftigte im Schichtsystem jeweils individuell erstellt werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist ein zusätzlicher Nachweis über individuelle Schichtänderungen (zum Beispiel aktualisierte Dienstpläne) innerhalb des vereinbarten Schichtsystems bzw. des vereinbarten Schichtrhythmus nicht erforderlich.
Mit der Hinweispflicht bezweckt die Richtlinie, dass die vom Arbeitgeber angebotene Fortbildung allen Beschäftigten angeboten wird, auch „denjenigen in atypischen Arbeitsverhältnissen“.
Dieser Punkt wird für die Praxis eine eher untergeordnete Rolle spielen, denn nach der Neuregelung entfällt die Nachweispflicht, wenn der Versorgungsträger selbst bereits zu dieser Information verpflichtet ist. Folge: Im Arbeitsvertrag müssen keine Angaben zu Direktversicherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds gemacht werden, da diese Versorgungsträger bereits nach Versicherungsaufsichtsrecht verpflichtet sind, den Versorgungsanwärtern (Arbeitnehmern) ihre jeweiligen Namen und Anschriften mitzuteilen. Damit verbleibt für die Nachweispflicht nur der Fall, dass der Arbeitgeber die betriebliche Altersversorgung über eine Unterstützungskasse zusagt.
Angaben zu den relevanten Kündigungsfristen finden sich regelmäßig in Arbeitsverträgen. Ist vertraglich eine Staffelung der Länge der Kündigungsfristen vereinbart (z.B. in Anknüpfung an die Betriebszugehörigkeit), so genügt laut Gesetzesbegründung die Angabe der vereinbarten Berechnungsmodalitäten. Die Staffelung selbst muss nicht angegeben werden.
Neu sind die erforderlichen Angaben zur Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG und das für die Kündigung einzuhaltende Verfahren, „mindestens“ das Schriftformerfordernis. Was unter dem Begriff des „Verfahrens“ zu verstehen ist, bleibt leider zunächst unklar. Da es sich um eine Mindestangabe in Nr. 14 n.F. handelt, wird ein Verweis auf das Schriftformerfordernis nicht ausreichen. Relevant werden z.B. Beteiligungsrechte eines Betriebsrats oder notwendige Zustimmungserklärungen von Behörden bei dem Bestehen von Sonderkündigungsschutz wie z.B. bei einer Schwerbehinderung oder bei Elternzeit.
Konkretisiert und ausgeweitet wurden die Regelungen in § 2 Abs. 2 NachwG zu Arbeitsleistungen im Ausland. Galten sie bislang für Arbeitsleistungen, die „länger als einen Monat“ außerhalb Deutschlands zu erbringen waren, ist nun geregelt, dass dies für Arbeitsleistungen gilt, die „länger als vier aufeinanderfolgende Wochen“ außerhalb Deutschlands zu erbringen sind. Grundsätzlich noch vor der Abreise auszuhändigen ist die Niederschrift mit den nach § 2 Abs. 1 Satz 2 erforderlichen Angaben und den nach § 2 Abs. 2 erforderlichen zusätzlichen Angaben (hier vereinfacht dargestellt):
Ergänzt werden die Regelungen zu Auslandsaufenthalten durch den neu eingefügten § 2 Abs. 3, welcher zusätzliche Anforderungen bei einem Auslandsaufenthalt im Anwendungsbereich der europäischen „Entsenderichtlinie“ regelt.
Nach wie vor ist eine Änderung der wesentlichen Vertragsbedingungen dem Arbeitnehmer gemäß § 3 NachwG schriftlich mitzuteilen, nun aber nicht mehr „spätestens einen Monat nach der Änderung“, sondern „spätestens an dem Tag, an dem sie wirksam wird“. Ausnahmen gelten nur dann, wenn die geänderten Arbeitsbedingungen auf einer Änderung der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Gesetze und / oder kollektivrechtlichen Regelungen (Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen etc.) beruht. Relevant kann eine derartige Änderung werden, wenn der Arbeitgeber sich z.B. entschließt, die Anzahl der Urlaubstage zu erhöhen.
Wie bereits eingangs angemerkt: Auf die Personalabteilungen kommt viel Arbeit zu, auch wenn es § 2 Abs. 4 NachwG n.F. ermöglicht, dass die Angaben nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nummer 6 bis 8 und 10 bis 14 NachwG n.F. durch einen Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen ersetzt werden können. Zudem stellen sich spannende Folgefragen: Sind die Vorgaben des Nachweisgesetzes – hier zum Schriftformerfordernis – auch bei Aufhebungsverträgen zu beachten? Ist das Nachweisgesetz bei Dienstverträgen mit (Fremd)geschäftsführern zu beachten, da dem Gesetz eine europäische Richtlinie zugrunde legt und der europäische Arbeitnehmerbegriff auch (Fremd)geschäftsführer erfasst? Zudem dürfte sich in Zusammenhang mit Unterrichtungen bei Betriebsübergängen, soweit diese (nur) in Textform erfolgt sind, die Frage stellen, ob nunmehr eine das Schriftformerfordernis des Nachweisgesetzes wahrende erneute Unterrichtung notwendig wird, wenn sich infolge des Übergangs von Arbeitsverhältnissen relevante Änderungen ergeben, zum Beispiel andere Tarifverträge Anwendung finden.
Die weitere Entwicklung werden wir selbstverständlich weiter verfolgen und Sie über aktuelle Entwicklungen gerne informieren.
Für Ihre Fragen und Ihre Unterstützung bei der Umsetzung der neuen Vorgaben des Nachweisgesetzes stehen wir jederzeit bereit.
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